Neulich, okay: vorhin las ich diesen Beitrag und erinnerte mich. Nicht an München jetzt, sondern – um an ein wiederkehrendes Thema anzuknüpfen – daran, wie es war, von Augsburg nach Hamburg zu ziehen. Und wie mir die schon länger in Hamburg Lebenden die Stadt zeigten. Ein damaliger Bekannter von mir, nennen wir ihn mal Moritz, führte mich Anfang 2005 durchs Schanzenviertel. Ich kannte das Viertel schon ein bisschen und fand es eher so mittel, aber Moritz war absolut überzeugt, mir etwas Superschönes zu zeigen. Er zeigte froh in Straßen und Ecken hinein und auf Cafés und Läden und Kneipen und Häuser. Und ich lief nebenher und dachte: „Scheiße, ist das hässlich.“
Das habe ich viel gedacht, am Anfang in Hamburg. Die HamburgerInnen und ihre „schönste Stadt der Welt“, versteh Gott oder weiß der Geier, woher sie das haben, dachte ich. Es gibt hier so viele Gegenden, die für mein in bayrischen Dörfern und Städten aufgewachsenes Gehirn, durch Urlaube im Allgäu und in Italien geprägtes Auge anfangs einfach nur eins waren: Total greißlich. „Ist das nicht toll hier?“ sagte Moritz. Er wartete auf, wie ich mir vorstellte, aus mir hervorsprudelnde Begeisterung. „Ja, äh … es ist …“ sagte ich, während im Hintergrund ein paar Möwen Erbrochenes aßen und die generelle Tristesse mich fast umwarf „… ganz nett?“ „Ganz nett??!“ Moritz sah sehr empört aus. „Das ist doch SUPER hier!“. Ich kam mir vor wie ein Depp. Eine Deppin. Jedenfalls eine depperte Person. So sollte ich mir noch oft vorkommen in den ersten Hamburgmonaten. HamburgerInnen zeigten mir begeistert irgendwas, ich versuchte ihre Begeisterung mit der aktuellen Umgebung abzugleichen und raffte nix.
Mittlerweile verstehe ich den Reiz des, naja, sagen wir: „Ranz“ viel besser. Dazu haben bestimmt auch vier Jahre in nächster Nähe zur Reeperbahn beigetragen. Ich verstehe, warum es auch im Sommer schön ist in Övelgönne, trotz Menschenmassen, trotz Sand, der vom Dreck der Schuhsohlen der Menschenmassen graubraunschwarz geworden ist, trotz umgeworfener Mülleimer und dem, äh ja, Odeur von ca. 300 Einweggrills. Wenn in Övelgönne die Sonne untergeht, der Wind richtig steht und gerade ein Frachter durchfährt wie ein vollbeleuchtetes Ufo, das macht sehr glücklich. Überhaupt hat mich die Elbe damals überzeugt, nach Hamburg zu ziehen, und ich liebe sie immer noch. Okay, Nachtrag: Den Lech liebe ich heimlich etwas mehr, er ist kieselig und klar, in seinen kalten türkisgrünen Gumpen lässt es sich herrlichst schwimmen, das kann die Elbe alles nicht. Die Elbe kann dafür groß sein, sich beinahe anfühlen wie das Meer, wie eine eigene Metropole, wie Fernweh an Bord eines Frachtschiffs.
Vor der Schanze, ganz ganz zu Beginn, als ich das allererste Mal überhaupt nach Hamburg kam, habe ich ein Viertel kennengelernt, bei dem sich eigentlich alle einigen konnten und können, dass es „einfach nur schön“ ist. Ottensen nämlich. Und, ich wage es kaum zu gestehen, selbst DAS fand ich damals eher unschön. Es sah, dachte ich, im Besten Fall so okay aus wie die hässlichsten Ecken von Augsburg, also quasi wie Oberhausen (Sorry, liebe OberhausnerInnen). Nur halt mit etwas höheren Häusern. Das habe ich mich lang nicht sagen trauen und auch jetzt rechne ich noch damit, dass mich Hamburgliebende überrennen und mir lang und breit erklären, warum Ottensen halt doch schön ist. Ist es ja auch! Ich habe nur eine Weile gebraucht, um meine Augen darauf scharfzustellen. Dann habe ich gesehen, wie viel hier wild gegärtnert wird, ich habe die Hühner von der Hühnertwiete kennengelernt und die Geheimcafés, und mittlerweile, fast 15 Jahre später, ist Ottensen eh zum Großteil so durchgentrifiziert, teuer und ordentlich, dass man es hier – wenn man sich so umschaut – auf Dauer nur noch als besserverdienende Ökofamilie aushält (hallo, ja, hier spricht der Neid). Außer, man hat seinen Mietvertrag schon vor mindestens 15 Jahren abgeschlossen. Außer, man liebt die Ottenser Hauptstraße, die es im vorderen Teil irgendwie immer schafft, leicht klebrig zu sein und ein bisschen zu stinken, ganz arg.
Heute weiß ich schon, wie schön Hamburg sein kann. Es kann ganz glorreich und architektonisch schön sein, auf eine sehr durchdachte und auch auf eine sehr reiche Art. Es kann minimalistisch schön sein und auch total verkotzt mit lautem Geschrei drin. Ich musste mich einfach an das Große gewöhnen und an den Dreck und an alles andere, von dem es hier logischerweise viel mehr gibt als im beschaulichen Augsburg: Leute, Lärm, Regen und Wind. Was übrigens nicht stimmt, auch wenn die HamburgerInnen nicht müde werden, es zu wiederholen, ist, dass „Viertel XY wie ein Dorf“ ist. Wer das sagt, war noch nie in einem Dorf. Kein einziges der Hamburger Viertel ist auch nur annähernd wie ein Dorf. Leider. Zum Glück!
Langsam passt mein Alter (auch zum Glück) zu meiner schon immer vorhandenen inneren Verfassung. Deshalb darf ich demnächst auch endlich ins Grüne ziehen, ohne, dass sich jemand wundert. Ohne, dass jemand wie Moritz sagt, dann könne ich nicht mehr so gut „an der Clubkultur teilhaben“. Direkt neben ein Naturschutzgebiet ziehe ich dann, und bin trotzdem nur 30 Minuten von Altona entfernt. Gar nicht allzu nah, genau richtig ist das. Und die Miete ist außerhalb Hamburgs so günstig, dass ich mir dazu locker ein Monatsticket für den Großraum Hamburg leisten kann. Nur ruhig und aufgeräumt und schön wäre mir mittlerweile nämlich auch zu erdrückend, so kaputt (naja) bin ich nach all den Jahren in der Großstadt schon. Aber so ein bissle Dorf lebt wohl immer in mir weiter. Und das passt genau in die großstadtnahe Kleinstadt, in die ich im September umziehe. Ich freu mich schon.